Reportage

Kunst & KulturZwischen Zukunftsvision und Grenzüberschreitung

Die Huskell Library verbindet die USA und Kanada ©shutterstock.com/Cynthia Gauthier

In Norwegen, Nordamerika und Kenia stechen drei einzigartige Bibliotheken weniger durch ihren Bestand als ihre Vision hervor.

 

Spektakuläre Bibliotheken gibt es über die ganze Welt verstreut, wobei Rankings über die „schönsten“ oder „eindrucksvollsten“ Bibliotheken Deutschlands, Europas oder der der Welt en masse verfügbar sind. Sie zeichnen sich meistens durch Größe und ja, eine gewisse Opulenz aus. Durch dunkles Holz und eine Menge Gold, durch gigantische historische Bestände, futuristische Architektur und nicht zuletzt durch weltweite Bekanntheit. Ja, die Stiftsbibliothek in St. Gallen oder die Old Library des Trinity College in Dublin sind ohne Zweifel sehenswerte Orte. Aber zwischen diesen Schwergewichten gibt es auch kleinere oder innovative Bibliotheken, die zugänglicher sind und – hat man sie erstmal gefunden – Interesse wecken. Drei Projekte aus Norwegen, Nordamerika und Kenia stechen dabei weniger durch ihren Bestand als vielmehr durch ihre eigene Vision hervor.

 

Future Library Project, Oslo

 

Kunstprojekt, Vernetzungsvision oder Bibliothek? Hier ist alles zutreffend. Die Future Library ist in ein Projekt, das 2014 von der schottischen Künstlerin Katie Parson initiiert wurde. Die Idee dahinter: Jedes Jahr reicht ein anderer Autor, eine andere Autorin, ein Manuskript ein, das anschließend bis zum Jahr 2114 niemand zu Gesicht bekommt. Die Manuskripte liegen in der Stadtbibliothek Oslo, das Papier, auf das sie im 22. Jahrhundert gedruckt werden, wächst derzeit in Nordmarka, in der Nähe von Oslo heran. Eintausend Bäume wurden dort für diesen Zweck gepflanzt. Parson verfolgt die Vision, den Kreislauf der Dinge zu visualisieren, es ist ein stiller Protest gegen die Schnelllebigkeit der Gesellschaft und gleichzeitig eine Liebeserklärung an die Zeitlosigkeit von Literatur. Der Bücherwald der Future Library ist ein Geschenk an zukünftige Generationen, die noch nicht geboren sind, sich aber freuen dürften, denn es liegen derzeit Manuskripte u.a. von David Mitchell, Margaret Atwood und Karl Ove Knausgård vor. Es ist ein magischer Ort, der besichtigt werden kann.


https://www.futurelibrary.no

 

Haskell Free Library and Opera House, Québec/Vermont

 

Auf der Grenze liegend. Die Haskell Free Library and Opera House wird gerne die einzige Bibliothek in den USA ohne Bücher“ und „das einzige Opernhaus in den USA ohne eine Bühne bezeichnet. Es könnte aber genauso gut lauten, hier liegt die einzige Bibliothek in Kanada ohne Bücher und das einzige Opernhaus in Kanada ohne eine Bühne. Die Erklärung hinter den seltsamen Aussprüchen: Das 1904 vom amerikanisch-kanadischen Ehepaar Haskell geschaffene Projekt verfolgt das Ziel, Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen zu verbinden, indem sie eine Bibliothek und ein Bühnenhaus gebaut haben, das mitten auf der amerikanisch-kanadischen Grenze liegt. Die Institution spielt mit dem Nervenkitzel und der Anspannung, die Landesgrenzen so mit sich bringen, entmystifiziert gleichzeitig das Konstrukt von Grenzen und Abgrenzung. Das verbindende Element von Kunst und Wissen war es, was den Mäzenen vor über hundert Jahren vorschwebte und in dem Gebäude seine zeitlose Manifestation fand. Eine dicke schwarze Linie, die quer durch das Gebäude führt, symbolisiert die internationale Grenze. Der Eingang liegt auf der US-Seite, Gäste, die aus Kanada kommen, dürfen offiziell ohne Reisepass oder Zoll-Kontrollen hinüberschlüpfen. Es ist ein anmutiges, schönes Gebäude im viktorianischen Stil und verfügt über einen Bestand aus 20.000 Büchern in französischer und englischer Sprache.


https://www.haskelloperahouse.org

 

Camel Library Service, Kenia

 

Die Future und Haskell Free Library begrüßen ihre Gäste mit offenen Türen beziehungsweise Toren. Im Fall der kenianischen Kamelbibliothek war das in der Vergangenheit schwierig. Hier existierten keine Türen, was jedoch weniger an Verschlossenheit lag, als in der Natur der Sache. Denn, bei den Mobile Library Services der KNLS kamen nicht die Menschen zu den Büchern, sondern die Bücher zu den Menschen. Fernleihe auf vier Beinen sozusagen. Sie wurde 1996 mit dem Ziel gegründet, die entlegenen Nomadendörfer im Osten des Landes, in der Region Garissa, mit Büchern zu versorgen. Das Projekt wurde aus der Not heraus geboren, denn die Bibliothek der Provinzhauptstadt hatte schlicht zu wenig Kundschaft, insbesondere zu wenig junge Leser und Leserinnen. Vier bis fünfmal die Woche wurde eine Hand voll Kamele mit jeweils zwei Kisten á hundert Büchern beladen und buchstäblich mit ihren Führern in die Wüste geschickt. Bildung und die Freude an Literatur sollte kein Privileg festgeschriebener Lebensumstände sein. Doch auch bei der Camel Library klopften die Zeichen der Zeit dann doch an die Tür. Mittlerweile wurden die Kamele durch Motorräder ersetzt; die Vision bleibt.

 

„Das Einzige, was man unbedingt wissen muss, ist, wo sich die Bibliothek befindet“ (Albert Einstein) – oder die nächste Idee.

 

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