Reisen

ReportageReisen mit Gewicht

Können uns Apps, Webseiten & digitale Karten alles auf Reisen liefern? ©shutterstock.com/Michele Ursi

Im Zeitalter von Tripadvisor, booking.com, Yelp oder maps.me erscheint es bisweilen „überflüssig“ noch einen klassischen Reiseführer in Buchformat zu besitzen. Doch warum die wenigen Gramm im Gepäck einen gewichtigen Unterschied auf Reisen machen & die Zukunft im Zusammenspiel von Digital und Print liegt.

 

Ob Inlands- oder Auslandstrip - Die Frage, ob es sich noch lohnt den klassischen Reiseführer zu kaufen, stellen sich heutezutage Viele. Es gibt Apps zuhauf, Websiten, Online-Übersetzer und unzählige Reiseblogs. Man reist mit Handgepäck und jedes zusätzliche Gramm wird sorgsam überdacht. Wo also liegen die Stärken des Buchformats? Von Technikunabhängigkeit zu Nostalgie - es gibt sie, Vorteile die schwerlich zu ersetzen sind.

 

Nr. 1: Unabhängigkeit

 

Beginnen wir mit einem der offensichtlichsten: Der Freiheit, nicht von Strom, Handy, Laptop, Tablet oder Internetzugang abhängig zu sein. Wir sind es gewöhnt, nahezu überall online gehen zu können. WLAN ist nicht nur in unseren Breitengraden ständig verfügbar, an öffentlichen Plätzen, in Cafés, Museen, ja sogar an Aussichtspunkten werden Drahtlosverbindungen angeboten.

 

Doch was ist, wenn dieses allseits-verfügbare Gut mal nicht zur Verfügung steht? Der Strom ausfällt oder die Verbindung scheitert?Verlassen wir uns nur darauf, könnte es passieren, dass wir ziemlich im Regen stehen gelassen werden. Und seien wir einmal ehrlich: Auf Reisen oder im Urlaub kann die ständige Suche nach Steckdosen oder WLAN-Hotspots ziemlich nervig sein. Da ist es doch viel schöner, sich gemächlich niederzulassen und in stoischer Ruhe zu blättern.

 

Nr. 2: Information & Wissen

 

Möglichst schnell, möglichst kompakt soll der „Content“ heutzutage sein. Im digitalen Zeitalter ist man darauf getrimmt, Schlagwörter aus Texten herauszufiltern, schnell weiter zu klicken, wenn das Gesuchte nicht gefunden wird. Zu scrollen, wenn ein Absatz unwesentlich erscheint. Ohne uns zu versehen sind wir schon über fünf unterschiedliche Reiseblogs gestolpert, haben drei Restaurant-Bewertungen überflogen und sind nebenbei einer Werbeanzeige für eine günstige Autovermietung gefolgt. Was dabei hängen bleibt? Nun, wahrscheinlich etwas Konfusion.

Was der klassische Reiseführer kann: Uns ausführlich und professionell informieren, Verschiedenes zu bündeln und Hintergrundwissen zu liefern.

Ob es um Flora, Fauna und Klima eines Landes geht oder einen kleinen Wortschatz, um sich zumindest nicht ganz auf Hände und Füße verlassen zu müssen. Kulturelle Eigenarten, Religion und das „mindset“ der Bevölkerung zu studieren oder Hintergründe zu traditioneller Handwerkskunst, Festen und Kulinarik zu erfahren: Der dicke wie dünne Printguide ist ein Rundumpaket für das hunderte Websites gebraucht werden würden.

Unterschätzter Nebeneffekt dabei ist der Lesefluss: Der klassisch gedruckte Reisebegleiter wird meist von einem bis wenigen AutorInnen verfasst. Wie in einem Roman können wir leichter in die Sprache eintauchen und uns wiederfinden. Es handelt sich dabei um ExpertInnen auf ihrem Metier, Menschen die Land und Städte mitunter seit Jahrzehnten intensiv studieren und wertige Information liefern.

 

Nr. 3: Überblick

 

Rein- und rauszoomen, sich verklicken oder auch mit google maps komplett die Orientierung zu verlieren. Ob auf dem Handy oder dem Laptop, der Ausschnitt einer Region oder einer Stadt ist auf kleinen Raum begrenzt. Da kann herkömmliches Kartenmaterial eine willkommene und hilfreiche Abwechslung schaffen. Das in Reiseführern hinterlegte Equipment ermöglicht – insbesondere zu Beginn eines Trips – die Vogelperspektive einzunehmen, Routen zu planen und ein Gefühl für Strecken, Distanzen und Größe eines Gebiets zu bekommen. Natürlich möchte man unterwegs nicht immer Karte und Buch aus dem Rucksack ziehen, doch wie auch bei den anderen Aspekten geht es nicht um entweder oder, sondern die Vereinigung einzelner Vorteile.

 


Nr. 4: Überraschung & Spontanität

 

Onlinesuche ist oft gezielte Suche, Ergebnisse unterliegen Algorithmen und passen sich auch unserem Suchverhalten an – das wissen wir. Was dabei verloren geht: Überraschung, auf Dinge zu treffen, die wir nicht erwartet haben, die überhaupt nicht zu uns passen. Bei dem Besuch fremder Städte und Länder suchen wir da nicht unterbewusst auch nach etwas anderem, neuen Sichtweisen und Perspektiven? Impulsen, die unseren Alltag verändern können?

Reiseführer bieten uns genau das: Kleine Herbergen, die – wenn überhaupt – nur rudimentäre Websites anbieten. Touren, auf die wir nie gestoßen wären, Erlebnisse, die Abenteuergeist erfordern.

Natürlich kann es dabei auch passieren, einmal vor verschlossenen Türen zu stehen, weil die Information nicht absolut „up to date“ ist – trotz regelmäßiger Überarbeitungen und Aktualisierungen. Anstatt in Ärger zu verfallen, gibt es uns aber auch die Chance auf den Zug der Spontanität aufzuspringen und kreativ und kurzfristig umplanen zu müssen. Improvisationskunst und Überraschung sind Faktoren, die manchmal genau zu den Reiseerlebnissen führen, die besonders lange im Gedächtnis verharren. 

 

Nr.5: Erfahrung

 

„Wieviele Sterne hat das Restaurant nahe der Innenstadt?“, „Okay, die KellnerInnen sollen unfreundlich gewesen sein“, „und ein Ausflug zu der Schlucht lohnt sich nicht“. Im Internet können wir von der Meinung anderer profitieren, doch übersehen auch, dass es unsere eigene Erfahrungswelt beeinflusst. Jeder und Jede erlebt Menschen, Orte, Sehenswürdigkeiten auf seine und ihre eigene Art und Weise. Interessen und Vorlieben sind individuell. Bewusst und unterbewusst können Portale, Bewertungen und Rezensionen unsere eigenen Erlebnisse einschränken und verändern. Wollen wir uns individuellem Erleben nicht verschließen, sollten wir manchmal das Unbekannte suchen.

 

Nr.6: Erinnerung

 

Zwischen den Seiten benutzter Reiseführer liegen Erinnerungen ohne Ablaufdatum und ein gewisser Hauch Nostalgie verborgen. Blättern wir im Alltag die manchmal stark mitgenommenen Relikte durch, reisen wir gedanklich an schon besuchte Orte. Vergessene Notizen oder Telefonnummern, Eintrittscoupons und Andenkenkarten, etwas Sand oder von Wasser gewellte Seiten - Reiseführer sind Tagebücher, Dokumentationen und ja, ein unersetzbares Souvenir.

Das Schöne dabei ist: Wir können sie weitergeben und ausleihen. Andere daran teilhaben lassen. Anders als bei Links oder Emails verbindet ein Buch auf seine eigene Art und Weise.

 

Fazit:

 

Apps, Websiten, Blogs und Portale sind praktische Tools auf Reisen und heutzutage auch nicht mehr wegzudenken. Das sollen sie auch nicht: Tickets können online gekauft werden, Updates und Echtzeit-Informationen abgerufen und Erfahrungen ausgetauscht werden. Doch den Duft eines Buches, das Gefühl durch Seiten zu blättern, Emotionen wiederzubeleben, ausführliches Rundumwissen zu erhalten und das Gewicht von Land und Stadt in Händen zu halten, können sie uns nicht bieten.

Also, was das Reisen betrifft, leben wir eigentlich im Zeitalter der Glückseligkeit. Kombinieren wir gedruckte und digitale Angebote nach unserem eigenen Geschmack, stehen uns alle Türen, Grenzen und Möglichkeiten offen.

Autorin: Lea Katharina Nagel

 

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