Normalerweise muss man sich als Radfahrer die alpine Kulisse teuer erkaufen: mit mühsam erstrampelten Höhenmetern. Der Tauernradweg gibt sich in dieser Beziehung äußerst gnädig. Zwischen dem Start an Österreichs höchsten Wasserfällen in Krimml und dem Endpunkt in Passau liegen rund 700 Höhenmeter – bergab wohlgemerkt. Dazwischen geht es einem wie dem Helden im Märchen: Das Ziel ist eigentlich klar, aber entlang des Wegs verführen Schluchten und Klammen, Bäche und Badeseen, Festungen und Burgruinen, Eishöhlen, Dörfer und die pittoreske Stadt Salzburg zu Abstechern links und rechts des Wegs. Von schmucken Bauernhäusern, Hofläden und genüsslichen Einkehrstopps ganz zu schweigen. Bei so vielen Eindrücken ist man geneigt zu verweilen, weiterzuforschen oder den Plan mit der Radtour nochmal zu überdenken. Genießer alpiner Panoramen sollten aber wenigstens bei den ersten Etappen von Krimml bis Salzburg (165 Kilometer) dran bleiben. Wir erzählen, warum.
Der Tauernradweg beginnt mit einem Wumms. Und zwar einem sehr stattlichen. Am Startpunkt in Krimml donnern durchschnittlich 5.500 Liter Wasser aus einer Höhe von 385 Metern bergab – pro Sekunde. Die dreistufigen Krimmler Wasserfälle sind damit die wasserreichsten in ganz Europa, und ein charmanter Wanderweg mit zahlreichen Aussichtskanzeln lässt die Radtour als Wanderung beginnen. Doch die paar Stunden müssen sein. Selten wird man so eindrucksvoll an Naturgewalten herangeführt.
Die erste Etappe danach gestaltet sich völlig mühelos. Auf fest gekiesten Waldwegen fliegt man dem Talboden entgegen und ist mehr mit Bremsen als mit Pedalieren beschäftigt. Die Hohen Tauern, Namensgeber des Radwegs und größter Nationalpark der Alpen, bilden die Kulisse zu unserer Rechten, während das sanft gewellte Salzachtal einen lieblichen Gegensatz dazu formt. Zusammen mit der schmalspurigen Pinzgauer Lokalbahn bekommt man leicht den Eindruck, in ein Spielzeugmodell eines Eisenbahnfreunds hineingeraten zu sein. Nur die manchmal recht dominanten Strommasten erinnern daran, dass man die Realität nicht verlassen hat.
Da die höchsten Gipfel Österreichs für Radfahrer nur schlecht zu erreichen sind, lohnt ein längerer Stopp in Mittersill. Dort entführen die Nationalparkwelten in die Hochgebirgslandschaft und geben einem fast das Gefühl, selbst dort gewesen zu sein. Sogar Gletschereis zum Anfassen gibt es, ein Modell des ulkigen Alpenstrudelwurms, einen Murmeltier-Bau zum Hineinkrabbeln und die Auffaltung der Alpen in 3D und – natürlich – Zeitraffer. Wer lieber auf dem Bike herumspielt, vergnügt sich unweit davon im öffentlichen Pump'n'Skills Park mit spaßigen Parcours und Geschicklichkeitsrouten.
Bis Zell am See sind die üppig grünen Wiesen im Talboden vorherrschend; schmucke Bauernhäuser und einladende Gasthöfe reihen sich entlang des Wegs, der immer gut zu befahren und außerdem so gut ausgeschildert ist, dass ein GPS überflüssig ist. Nur um die vielen Abstecher beiderseits der Route lokalisieren zu können, lohnt eine Radkarte (mit tollen Tipps: bikeline, Verlag Esterbauer).
Der traumhaft in die Bilderbuchlandschaft eingebettete Ort Zell am See gibt sich ländlich bis mondän und zieht Touristen von weit her an. Beim plötzlichen Sprung von dörflich zu kosmopolitisch reibt sich manch einer verwundert die Augen, aber die prächtige Bergkulisse erklärt die ungebrochene Anziehungskraft dieses kleinen Bade- und Skiortes. Das beste Panorama bekommt man übrigens von der Mitte des Sees; einige Bootsverleihe sind dafür dienlich. Wer sich einen Ruhetag leisten kann, sollte ruhig auch noch nördlich des Sees auf Erkundungsfahrt gehen.
Weiter Richtung Osten beginnt der Charakter des Tals sich zu verändern: Es wird schmäler und unzugänglicher. Ein Ausweichmanöver in die südlichen Hänge – die ausgeprägteste Steigung bis Salzburg – beschert einem ein weiteres Panorama über alle Vegetationszonen hinweg: von lieblich begrünt über dunkel bewaldet bis felsig und verschneit. Auch einige Klammen hat das stark eingeschnittene Tal zu bieten. Die Kitzlochklamm wartet mit drei Klettersteigen unterschiedlicher Schwierigkeit (B/C bis E/F; Sets vor Ort ausleihbar) auf; wenig später lockt die Liechtensteinklamm, die selbstbewusst behauptet, die beeindruckendste der gesamten Ostalpen zu sein. Danach öffnet sich das Tal wieder, beschreibt eine Linkskurve und gibt den Blick auf neue Gebirge frei. Vor allem der mächtige Tennengebirgsstock zieht einen in seinen Bann, während die Radwege – asphaltiert oder hart gekiest – zum Glück wenig Aufmerksamkeit fordern. Die Route, die auch hier wieder weite Strecken direkt an der Salzach zurücklegt, wird lieblicher, zum Teil sogar parkähnlich. Und immer wieder: liebevoll gestaltet Raststationen, die einem das Weiterfahren gehörig erschweren.
Zwei berühmte Highlights passiert der Tauernradweg nun, für die durchaus etwas Zeit eingeplant werden sollte. Das eine ist die Eisriesenwelt Werfen – das größte Eishöhlen-System weltweit –, die im Rahmen einer Führung begangen werden kann, das andere die imposante Festung Hohenwerfen. Nicht nur die Burganlage samt ihrem sagenhaften Bergpanorama lohnt das Eintrittsgeld; auch die Greifvogel-Flugvorführungen (zweimal täglich) sind inklusive und etwas, was man nicht alle Tage zu Gesicht bekommt: Bis zu 300 km/h schnell ist der Wanderfalke im Sturzflug.
Ab hier nimmt die Zahl der Orte zu, die eine Sehenswürdigkeit für sich sind oder zumindest zu einem Kaffee auf einem gemütlichen Platz einladen. Golling, Kuchl und Hallein entlohnen für die Fahrt auf der Bundesstraße über den Pass Lueg, zu der es leider keine Rad-Alternative gibt. Der Gollinger Wasserfall wird (gegen Eintritt) auch als Freibad genutzt; kurz danach lassen sich ein paar Extra-Kilometer ins romantische Bluntautal fahren. Als Krönung der alpinen Etappen trifft man am Ende in der Kulturstadt Salzburg ein – ein großer Kontrast zur Urgewalt der Alpen, von der man zu Anfang des Radwegs eine Kostprobe bekommen hat. Gerade diese Kombination aus Natur und Kultur, aus Sehenswertem und Einfachem macht den Radweg so spannend und vielfältig. Würde man alle Highlights links und rechts der Route erkunden wollen, so bräuchte man vermutliche etliche Wochen.
Auf einen Blick:
Pro:
- kaum Straßenberührung und wenig Verkehr
- bestens beschildert, auch bei zeitweisen Umleitungen
- größtmögliche Vielfalt bei hoher Sehenswürdigkeiten-Dichte
Contra:
- Die Strommasten und -leitungen trüben die Optik im Pinzgau ein wenig, was selbstverständlich ein Radfahrer-Luxus-Problem ist.
An-/Abreise: Ab Salzburg mit der ÖBB bis Zell am See. Zwischen Zell am See und Krimml verkehrt die Pinzgauer Lokalbahn, die ebenfalls Räder mitnimmt. Wer fit genug ist, kann von Salzburg die Tauernweg-Variante zurück nach Zell am See mit dem Rad zurücklegen: 95 km durch das Saalachtal, allerdings hier nun bergan.
Sehenswürdigkeiten: Alle beschriebenen Sehenswürdigkeiten (außer der Eisriesenwelt und dem Gollinger Wasserfall) und rund 175 weitere sind in der Salzburger Land Card enthalten.
Passend dazu:DuMont Bildatlas Salzburger Land
noch mehr österreichische Radwege auf bike.austria.info
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von Solveig Michelsen