von Klaus Simon
ParisAdieu Café
Rund 600 000 Cafés hat man vor rund 45 Jahren in Frankreich gezählt. Ihre Zahl schrumpfte inzwischen auf 40 000, davon entfallen 8000 auf Paris, wo der Übergang zum Bistro allerdings fließend ist. Gemeint ist in beiden Fällen eine Bastion urfranzösischer Lebensart.
Morgens nimmt der Durchschnittspariser an der Theke einen petit noir (oder ein Gläschen Rotwein, wahlweise ein Bier auf dem Weg zur Arbeit), abends einen Apéritif (oder auch zwei auf dem Weg nach Haus). Voilà, so einfach und schön zugleich kann das Leben sein. Mittags verwandelt sich das Café dank eines für jedermann erschwinglichen Tagesgerichts, Plat du Jour, zur Viertelkantine, mithin ein Ort, an dem das revolutionäre Prinzip der Égalité in einem sonst recht standesbewussten Land unverbrüchlich gilt. Ein von der Theke abgetrennter Bereich für Zeitschriften, Zigaretten, Briefmarken, Lottoschein, Steuermarken, Kaugummis und allen nur erdenklichen Firlefanz darf nicht fehlen – kaum ein Café käme ohne die Nebeneinnahmen über die Runden. Auch nicht das Café im erfolgreichsten französischen Film aller Zeiten, „Die wunderbare Welt der Amélie“. Gedreht wurde der kunterbunte Streifen größtenteils im Café des Deux-Moulins, in einer Straße, die sich von Montmartre nach Pigalle runterschlängelt und in der die Thekenkonkurrenz groß ist. Weil aber die hübsche Amélie dem Glück mit Witz und Mut auf die Sprünge hilft, ist an der Theke des „Deux-Moulins“ immer etwas los.
Café Kultur oder Fastfood?
Allzu idyllisch durch die rosarote Brille des Amélie-Erfolgs sollte man die Situation der französischen „Café-Kultur“ allerdings nicht betrachten. Wo man sich früher eine Stunde Zeit für ein Mittagessen im Café-Bistro nahm, sind es heute im Landesdurchschnitt ganze 27 Minuten. Da reicht die Zeit nicht einmal mehr für das flott servierte Tagesgericht im Café, sondern höchstens für ein Sandwich auf die Hand oder, horribile dictu, die nächste Fastfoodfiliale, die dem klassischen Café die Kundschaft abwirbt.
Cool-professionelle Verjüngungskur: Alles neon in Paris?
Auch gegen sommerliche Hitzewellen, bei denen einst allein das Café mit einer eiskalt gezapften pression oder dem kühlen Glas petit blanc Linderung verhieß, ist mittlerweile jeder Haushalt dank des eigenen Kühlschranks gewappnet. Und statt den Feierabend an der Theke gesellig debattierend oder scherzend zu verbringen, schaut auch der Durchschnittsfranzose heute immer öfter und immer länger auf den Flachbildschirm – ob Fernsehen oder Internet. Adieu Café?
So dramatisch ist die Situation nun auch wieder nicht, erst recht nicht in Paris, wo die Welle der Neo-Cafés und Neo-Bistros einen Gegentrend ausgelöst hat. Die Verjüngungskur sieht wie folgt aus: Man nehme ein altes Café, mische eine Prise Design in die Ausstattung und sorge dafür, dass die Kellnerinnen und Kellner cool-professionell sind. Großvaters petit rouge, zumeist ein schlichter Fasswein aus dem Languedoc, fliegt von der Karte und wird ersetzt durch anspruchsvolle Tropfen aus Burgund, Bordeaux oder den Corbières, die möglichst glasweise ausgeschenkt und auf einer Schiefertafel vorgestellt werden. Auch die Speisekarte ist nicht wiederzuerkennen. Pfiffige Salate statt schwerer Fernfahrerkost, Olivenöl statt Butter, günstige Tagesgerichte geben den Ton an. Nicht zu vergessen: Ab und zu ein Event – sei es ein DJ, der einheizt, oder eine Lesung mit einem Jungstar aus der Pariser Literaturszene – sorgt für die nötige Aufmerksamkeit im Viertel und noch darüber hinaus. Nun heißt es abzuwarten, dass die ersten Stammgäste an der Theke stehen – das macht dann ein gerettetes Café (-Kulturgut) mehr.
Gut, besser, am besten: Dreimal gut!
- Café des Deux-Moulins, 15, rue Lepic, Tel. 01 42 54 90 50, Das fabelhafte Reich der Amelie. Mehr muss man dazu auch gar nicht sagen.
- Les Deux Magots, 6, place Saint-Germain-des-Prés, Tel. 01 45 48 55 25, tgl. bis 1.30 Uhr, www.lesdeuxmagots.fr. Die Pariser Literatencafé-Legende lebt, und sie hat deutlich mehr Charme als das benachbarte Café de Flore.
- Mariage Frères, 35, rue du Bourg-Tibourg, Tel. 01 43 47 18 54, www.mariagefreres.com. Es muss nicht immer Kaffee sein, auch nicht in Paris. Hier haben Teetrinker die Qual der Wahl unter 500 Sorten aus aller Welt, und dazu gibt’s unverschämt herrliche Süßigkeiten, die jede (Kalorien-)Sünde wert sind.
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