Was heißt „langsames Reisen“ in der Praxis?
In der Coronakrise haben viele Menschen erstmals gelernt, die eigene Umgebung zu erkunden und das meist auch noch zu Fuß. Man hat Orte und Menschen getroffen, die vorher (im Kopf) ganz weit weg waren. Man hat Freizeitaktivitäten ausgeübt, die bisher nur aus den Medien bekannt waren und von anderen Menschen gemacht wurden. Wandern, Radfahren, Langlaufen, Schneeschuhwandern oder einfach nur Bewegen in der näheren räumlichen Umgebung vom Wohnort. Reisen war lange Zeit eine langsame Art der Fortbewegung, die Ziele nicht ganz so weit von Zuhause entfernt und diese Art von Reisen war gar keine so unbequeme. Heute und in den nächsten zwei Jahren wird schon Corona-bedingt das Verreisen etwas langsamer vor sich gehen. Länger voraus eine Reise selber organisieren, nicht dorthin reisen, wo viele hinwollen, sondern Ziele finden, die noch unentdeckter sind und mehr Raum zum Entdecken bieten. Das heißt, man lernt die Menschen vor Ort intensiver kennen, tauscht mit ihnen Erfahrungen und Eindrücke aus und spürt, was ein gutes Leben wirklich ist. So sind auch Reisen zu den Wurzeln des guten Geschmacks in Kärnten eine Form von Slow Travel, weil man hier noch etwas ganz Besonderes entdeckt: die Herstellung von echten Lebensmitteln, deren Rohstoffe direkt aus dem Boden oder von den Tieren der Bauern vor Ort kommen.
Warum lohnt es sich, nach Corona anders zu verreisen?
Die Welt ist aus den Fugen geraten. Nicht nur, weil wir überall und jederzeit zu günstigen Preisen hinreisen konnten. Wir haben uns gerade hinreißen lassen, jedes Schnäppchen zu kaufen und zu buchen – oft ohne Rücksicht auf die Umwelt, auf Natur und Mensch. Jedem Instagram-Motiv hinterher zu eilen – das war vor Corona.
Gesundheit ist das höchste Gut des Menschen und die Freiheit des einen endet dort, wo der Andere Freiheit verliert. Slow Travel heißt auch Reisen mit Verantwortung für sich und andere. Wer zukünftig seine Reisen länger im Voraus plant, längere Zeit an einem Ort verweilt und dort mit allen Sinnen sein Reiseziel erkundet, kommt vielleicht mit mehr Erkenntnissen in sein Leben zurück als erwartet. Bewusstes Reisen schafft Zugänge zu Menschen, zu Speisen, zu Künsten und Erlebnissen, die beim Drüberfliegen im Verborgenen bleiben.
Meine ganz persönlichen Erfahrungen und Tipps für Slow Travel:
Am intensivsten sind Reisen zu Fuß: Wandern in naturbelassenen Landschaften, ob in den Bergen oder am Meer, machen den Kopf frei und stärken ganz natürlich die Fitness und das Immunsystem der Menschen. Ich konnte über 20 Jahre lang als Hotelier Gäste durch die Berge begleiten. Nach jeder Tour gab es unglaubliche Glücksgefühle, die nur durch das Gehen in fantastischen Berglandschaften entstanden sind. Daraus sind dann die Wanderhotels entstanden, in denen Hoteliers bis heute ihren Gästen eindrucksvolle Momente vermitteln.
Eine Landschaft schmecken lernen: Nirgendwo nimmt man den Geschmack einer Reiseregion besser auf als in den Speckkammern, Käsereien oder in Brotbackstuben. Mit den Slow Food Travel-Reisen in Kärnten ist uns ein Projekt gelungen, das als Vorbild für genussvolles, bewusstes Reisen anderen Reiseregionen weltweit dient. Meine Erfahrungen zeigen, dass der Genuss von echten Lebensmitteln vielen Menschen erst beim Besuch eines Erzeugers, z.B. auf dem Bauernhof oder in der Lebensmittelwerkstatt einen Wert erhält.
Kleine Dörfer, große Erinnerungen: Es sind nicht immer die großen Ressorts, die für die großen Abenteuer stehen, sondern oft sind es die kleinen, versteckten Dörfer abseits der Tourismusströme. Hier ist nichts hunderttausend Mal in Reiseführern beschrieben, sondern jedes Detail muss selber erkundet werden. Und jede dieser Erkundungen birgt ein Abenteuer, das lange im Gedächtnis verankert bleibt. Deshalb lebe ich auch immer noch in einem kleinen „Kräuterdorf“ und staune, mit wie wenig Aufwand große Erinnerungen entstehen können.
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von Solveig Michelsen